Mit der raschen Entwicklung und Implementierung von künstlicher Intelligenz (KI) im Finanzsektor entstehen neue regulatorische Herausforderungen. Die Europäische Union hat mit dem AI Act einen weltweit ersten umfassenden Rechtsrahmen für KI geschaffen. Dieser Artikel beleuchtet die aktuellen und kommenden Regulierungen für KI im Finanzwesen und analysiert die Auswirkungen insbesondere auf österreichische Finanzinstitute.

Die europäische KI-Verordnung: Ein Überblick

Nach mehrjährigen Verhandlungen hat das Europäische Parlament im März 2025 den AI Act verabschiedet, der einen risikobasierten Ansatz zur Regulierung von KI-Systemen verfolgt. Die Verordnung kategorisiert KI-Anwendungen nach ihrem Risikoniveau:

  • Unannehmbare Risiken: KI-Systeme, die als Bedrohung für die Sicherheit, die Grundrechte oder die Demokratie angesehen werden, sind verboten.
  • Hochrisiko-Anwendungen: Systeme mit erheblichen Auswirkungen auf Gesundheit, Sicherheit oder Grundrechte unterliegen strengen Anforderungen.
  • Begrenzte Risiken: Für diese Systeme gelten spezifische Transparenzpflichten.
  • Minimale Risiken: Für die meisten KI-Systeme mit geringem Risiko gelten keine besonderen Vorschriften.

Für den Finanzsektor besonders relevant ist, dass mehrere KI-Anwendungen im Bereich Kreditwürdigkeit, Risikobewertung und automatisierte Entscheidungen als Hochrisiko eingestuft werden.

Spezifische Anforderungen für den Finanzsektor

1. Transparenz und Erklärbarkeit

Eine zentrale Anforderung des AI Acts betrifft die Transparenz und Erklärbarkeit von KI-Entscheidungen. Finanzinstitute müssen in der Lage sein, zu erklären, wie ihre KI-Modelle zu bestimmten Entscheidungen kommen – insbesondere bei Kreditvergaben, Versicherungstarifen oder Anlageempfehlungen. Dies stellt eine besondere Herausforderung für komplexe Deep-Learning-Modelle dar, die oft als "Black Box" funktionieren.

Die Österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) hat bereits 2025 Leitlinien veröffentlicht, die von heimischen Finanzinstituten verlangen, angemessene Maßnahmen zur Gewährleistung der Transparenz und Nachvollziehbarkeit von KI-basierten Entscheidungen zu implementieren.

2. Datenschutz und DSGVO-Konformität

Der AI Act ergänzt die bestehenden DSGVO-Anforderungen und stellt zusätzliche Anforderungen an den Umgang mit personenbezogenen Daten. Finanzinstitute müssen sicherstellen, dass ihre KI-Systeme:

  • Datenminimierung praktizieren und nur relevante Daten verarbeiten
  • Angemessene technische und organisatorische Maßnahmen zum Datenschutz implementieren
  • Regelmäßige Datenschutz-Folgenabschätzungen durchführen
  • Die Rechte der betroffenen Personen wahren, einschließlich des Rechts auf Auskunft und Widerspruch gegen automatisierte Entscheidungen

Die österreichische Datenschutzbehörde hat angekündigt, verstärkt die Einhaltung dieser Anforderungen im Finanzsektor zu überprüfen, wobei Verstöße mit erheblichen Bußgeldern geahndet werden können.

3. Risikomanagement und Governance

Für Hochrisiko-KI-Systeme verlangt der AI Act ein umfassendes Risikomanagement-System, das potenzielle Risiken identifiziert, bewertet und minimiert. Finanzinstitute müssen:

  • Eine klare Governance-Struktur für KI-Systeme etablieren
  • Regelmäßige Risikobewertungen durchführen
  • Maßnahmen zur Risikominderung implementieren
  • Ein kontinuierliches Monitoring der KI-Systeme gewährleisten
  • Dokumentation über den gesamten Lebenszyklus der KI-Systeme führen

Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) hat zudem angekündigt, spezifische Leitlinien für das Risikomanagement von KI im Bankensektor zu veröffentlichen, die die Anforderungen des AI Acts ergänzen werden.

4. Vermeidung von Diskriminierung und Fairness

Ein besonderer Fokus des AI Acts liegt auf der Vermeidung von Diskriminierung durch KI-Systeme. Finanzinstitute müssen sicherstellen, dass ihre Modelle keine diskriminierenden Entscheidungen treffen, etwa bei der Kreditvergabe oder Versicherungstarifierung. Dies erfordert:

  • Regelmäßige Prüfung der Trainingsdaten auf Verzerrungen (Bias)
  • Implementierung von Fairness-Metriken und -Tests
  • Kontinuierliche Überwachung der Modellergebnisse auf diskriminierende Muster
  • Korrekturmaßnahmen bei Feststellung von Diskriminierung

Die FMA hat bereits angekündigt, bei ihren Prüfungen besonderes Augenmerk auf die Fairness von KI-Systemen zu legen und hat gemeinsam mit der Gleichbehandlungsanwaltschaft Workshops für Finanzinstitute zu diesem Thema organisiert.

Auswirkungen auf österreichische Finanzinstitute

1. Compliance-Kosten und organisatorische Anpassungen

Die Umsetzung der neuen regulatorischen Anforderungen wird für österreichische Finanzinstitute mit erheblichen Kosten verbunden sein. Nach einer Studie der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) müssen mittelgroße Banken mit Investitionen von 1,5 bis 3 Millionen Euro rechnen, um ihre KI-Systeme compliant zu machen. Dies umfasst:

  • Anpassungen bestehender KI-Systeme
  • Implementierung neuer Governance-Strukturen
  • Dokumentations- und Nachweispflichten
  • Schulung von Mitarbeitern

Besonders für kleinere Institute und regionale Banken stellen diese Kosten eine Herausforderung dar. Der österreichische Sparkassenverband hat daher eine gemeinsame Initiative gestartet, um Compliance-Ressourcen zu bündeln und Kosten zu teilen.

2. Innovationshemmung vs. Vertrauensbildung

In der Diskussion um die KI-Regulierung wird oft befürchtet, dass strenge Vorschriften Innovation hemmen könnten. Andererseits kann ein klarer Rechtsrahmen auch Vertrauen schaffen und damit die Akzeptanz von KI-Lösungen fördern.

Eine Befragung österreichischer Finanzinstitute durch die Österreichische Nationalbank ergab ein gemischtes Bild:

  • 63% der befragten Institute sehen die Regulierung als notwendig für Vertrauensbildung
  • 42% befürchten jedoch Wettbewerbsnachteile gegenüber nicht-europäischen Konkurrenten
  • 58% planen, ihre KI-Investments trotz regulatorischer Herausforderungen zu erhöhen

Um Innovation zu fördern und gleichzeitig regulatorische Compliance zu gewährleisten, hat die FMA einen "Regulatory Sandbox"-Ansatz eingeführt, der es Finanzinstituten ermöglicht, innovative KI-Lösungen in einem kontrollierten Umfeld zu testen.

3. Wettbewerbsvorteile durch frühzeitige Anpassung

Finanzinstitute, die proaktiv auf die neuen Regulierungen reagieren, können Wettbewerbsvorteile erzielen. Eine frühzeitige Anpassung ermöglicht:

  • Bessere Ressourcenplanung und -verteilung
  • Entwicklung von Expertise in der Implementierung regulierungskonformer KI
  • Positionierung als vertrauenswürdiger Anbieter von KI-basierten Finanzdienstleistungen

Einige österreichische Institute, wie die Erste Group und Raiffeisen Bank International, haben bereits dedizierte Teams gebildet, die sich mit der Implementierung der AI Act-Anforderungen befassen, und planen, ihre Compliance-Expertise als Dienstleistung für kleinere Institute anzubieten.

Praktische Implementierungsschritte

Für österreichische Finanzinstitute empfehlen sich folgende konkrete Schritte zur Vorbereitung auf die KI-Regulierung:

1. Bestandsaufnahme und Risikobewertung

  • Identifikation aller eingesetzten KI-Systeme und deren Klassifizierung nach Risikokategorien
  • Bewertung der Compliance-Lücken in Bezug auf den AI Act
  • Priorisierung der Anpassungsmaßnahmen basierend auf Risiko und Einsatzrelevanz

2. Governance-Strukturen etablieren

  • Ernennung eines KI-Verantwortlichen oder -Teams
  • Entwicklung klarer Prozesse für die Genehmigung, Überwachung und Überprüfung von KI-Systemen
  • Integration von KI-Governance in bestehende Risikorahmen und Compliance-Prozesse

3. Dokumentation und Transparenz verbessern

  • Implementierung einer strukturierten Dokumentation für KI-Systeme
  • Entwicklung von Methoden zur Erklärung von KI-Entscheidungen
  • Überarbeitung von Kundenkommunikation in Bezug auf KI-basierte Entscheidungen

4. Testverfahren und Qualitätssicherung

  • Etablierung von Testprotokollen für Fairness, Robustheit und Genauigkeit
  • Implementierung von Monitoring-Mechanismen für produktive KI-Systeme
  • Entwicklung von Prozessen für regelmäßige Neubewertungen und Updates

Fazit und Ausblick

Die Regulierung von KI im europäischen Finanzsektor markiert einen bedeutenden Wendepunkt in der Entwicklung und Nutzung dieser Technologie. Der AI Act schafft einen klaren Rahmen, der einerseits hohe Anforderungen an Finanzinstitute stellt, andererseits aber auch Rechtssicherheit bietet und das Vertrauen in KI-basierte Finanzdienstleistungen stärken kann.

Für österreichische Finanzinstitute bedeutet dies zunächst eine Phase der Anpassung und Investition. Langfristig bietet die Regulierung jedoch auch Chancen: Die Entwicklung von "Trustworthy AI" kann zu einem Wettbewerbsvorteil im globalen Finanzmarkt werden, da Kunden zunehmend Wert auf ethische und transparente Finanzdienstleistungen legen.

Die kommenden Jahre werden zeigen, wie sich das Zusammenspiel von Innovation und Regulierung in der Praxis gestaltet. Klar ist jedoch: Die KI-Regulierung wird die Finanzlandschaft nachhaltig prägen und jene Institutionen begünstigen, die frühzeitig die Balance zwischen innovativen KI-Lösungen und regulatorischer Compliance finden.